Umsatzsteuer: Ist-Besteuerung im Gründungsjahr?

Beträgt der Gesamtumsatz eines Unternehmers im vorangegangenen Kalenderjahr nicht mehr als 600.000 € (vor 2020: 500.000 €) kann das Finanzamt dem Unternehmer auf Antrag gestatten, seine Umsätze nach vereinnahmten Entgelten zu versteuern (Ist-Besteuerung). Hat der Unternehmer seine unternehmerische Tätigkeit erst im laufenden Jahr begonnen, gibt es kein Vorjahr. Maßgebend ist dann der tatsächliche Gesamtumsatz des Gründungsjahres, der allerdings auf einen Jahresumsatz hochzurechnen ist. Bei der Prognose ist der Gesamtumsatz nach den Grundsätzen der Soll-Besteuerung zu schätzen.

Praxis-Beispiel:
Eine GbR, die am 20.09.2011 gegründet wurde, gab im Fragebogen zur steuerlichen Erfassung, ihre Umsätze für das Jahr der Betriebseröffnung mit 30.000 € an und für das Folgejahr in geschätzter Höhe von 100.000 €. Das Finanzamt genehmigte daraufhin die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs. Das Finanzamt ging davon aus, dass der auf einen Jahresbetrag umgerechnete Gesamtumsatz des laufenden Kalenderjahres voraussichtlich nicht mehr als 500.000 € betragen werde.

Die tatsächliche Situation sah wie folgt aus: Die GbR hatte sich mit Vertrag vom 15.11.2011 verpflichtet, als Generalunternehmerin eine Photovoltaikanlage zu errichten. Von der vereinbarten Gesamtvergütung in Höhe von 1.258.000 € zzgl. Umsatzsteuer waren nach der Montage aller Module 450.000 €, nach der Installation der Wechselrichterstation weitere 450.000 € und nach einem Probebetrieb von 10 Monaten die restlichen 358.000 € zu zahlen. Als spätester Zeitpunkt für die Inbetriebnahme der Photovoltaikanlage war der 31.12.2011 festgelegt. Die Teilbeträge sollten jeweils nur insoweit zur Zahlung fällig werden, als sie aus den laufenden Einnahmen der Stromeinspeisung beglichen werden konnten. Die GbR stellte am 19.12.2011 für die Montage aller Module 450.000 € zzgl. 85.500 € Umsatzsteuer in Rechnung. Hierauf erhielt die GbR im Jahr 2011 eine Zahlung von 77.350 €. Die GbR reichte Umsatzsteuererklärungen für das Jahr 2011 ein und gab als vereinnahmtes Entgelt (netto) 65.000 € an und ermittelte eine Steuervergütung von 54.186,98 €. Das Finanzamt stimmte dieser Erklärung nicht zu und widerrief die Genehmigung der Ist-Besteuerung, weil die Umsatzprognose für das Gründungsjahr offensichtlich unzutreffend war.

Der BFH hat entschieden, dass für die Umsatzprognose allein die konkrete unternehmerische Planung für das Gründungsjahr entscheidend ist. Es spielt daher keine Rolle,

  • ob die von der GbR abgerechnete Leistung bereits am 15.12.2011 ausgeführt wurde,
  • welchen Betrag die GbR unter dem 19.12.2011 in Rechnung gestellt hat und 
  • was der Leistungsempfänger am 21.12.2011 tatsächlich gezahlt hat. 

Es ist vielmehr von dem voraussichtlichen Umsatz in der Zeit von September bis Dezember 2011 auszugehen. Die Beurteilung erfolgt hierbei nach den Grundsätzen der Soll-Besteuerung.

Die Gestattung der Ist-Besteuerung ist ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet. Er darf u.a. nur dann zurückgenommen werden, wenn ihn der Begünstigte durch Angaben erwirkt hat, die im Wesentlichen unrichtig oder unvollständig waren. Im Urteilsfall war die Angabe, dass die geschätzte Summe der Umsätze für das Jahr der Betriebseröffnung 30.000 € betrage, unzutreffend. Für diese Schätzung gab es nach Angaben der GbR es keine Grundlage. Diese Angabe war aber für die Gestattung der Ist-Besteuerung ursächlich. Bei vollständiger Kenntnis des Sachverhalts hätte das Finanzamt die Ist-Besteuerung nicht gestattet.

Das Finanzamt war daher berechtigt, die Genehmigung der Ist-Besteuerung zu widerrufen. Entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen der GbR war ein Umsatz von (netto) 450.000 € zugrunde zu legen, so dass der hochgerechnete maßgebliche Gesamtumsatz (450.000 € : 4 x 12 =) 1.350.000 € betragen hat. Die Voraussetzungen für die Genehmigung der Ist-Besteuerung lagen somit nicht vor.

Quelle: BFH | Urteil | XI R 41/18 | 10-11-2020